Etwas ratlos schauten sich Emmy und Max an. Dann hatte Emmy eine Idee:
"Topologische Räume sind so was wie Gummiwelten, drücken und
ziehen lässt sie kalt. Was sie aber stört, ist zerschneiden, hier
muss es irgendwo eine Möglichkeit geben..."
"Da!", fiel Max ihr ins Wort und zeigte auf den Reißverschluss
entlang des Türrahmens.
Nachdem sie durch den Reißverschluss geschlüpft waren, standen sie
auf einem Spielplatz. Max kletterte auf ein ungefähr kreisförmiges
Klettergerüst. Er startete auf der Außenseite. Als er einmal rundrum
geklettert war, stand er auf der Innenseite.
Nehmt einen Papierstreifen, verdreht ihn einmal und klebt die Enden zusammen,
dann habt ihr ein Möbiusband.
"Das Ding hat ja nur eine Seite!", rief er.
"Das "Ding" heißt Möbiusband", war Emmys trockene
Antwort.
Sie gingen weiter zu einer überdimensional großen Kaffeetasse. Emmy
griff in die Tasse, zog die Gummi-Innenseite hoch, drückte etwas am deformierten
Tassenkörper herum und zog den Henkel größer.
"Hier siehst du den Grund für einen alten Witz: 'Topologen sind Menschen,
die eine Kaffeetasse nicht von einem Donut unterscheiden können.'"
"In einer Gummiwelt unterscheiden sie sich ja wirklich nicht."
"Die Topologie untersucht Eigenschaften von Räumen, die unter gummiartiger
Verformung gleich bleiben", erklärte Emmy.
"Was soll denn 'Raum' in dem Zusammenhang heißen? Ich stelle mir
unter einem Raum so etwas vor, wie das, wo wir gerade drin sind."
"'Raum' ist einfach eine Menge von Punkten mit einer 'Topologie'. Die
besagt, welche Punkte nahe beieinander liegen."
"Aber wenn ich ein Gummiband auseinander ziehe, dann ändert sich doch
der Abstand der Punkte voneinander", warf Max ein.
"Der konkrete Abstand von zwei Punkten ist schon viel mehr Information.
Die beiden Punkte bleiben dennoch beieinander. Etwas anderes ist es, wenn du
das Band zerschneidest. Dann trennen sie sich."
Max nahm einen Gummiball, drückte und zerrte an ihm rum.
"Und woher weiß ich, welche Räume in der Gummiwelt gleich sind.
Also woher weiß ich, ob ich den einen so drücken und zerren kann,
dass der andere rauskommt?"
"Dafür gibt es viele Kriterien. Die meisten beruhen darauf, Mittel
aus der
Algebra einzubeziehen."
"Kannst du mir ein Beispiel nennen, wie das funktioniert?"
"Ich zeig dir eine relativ einfache Methode, die aber nicht immer hilft.
Nimm mal diesen Gummiring und leg ihn irgendwie auf den Ball. Du kannst ihn
jetzt immer so zusammenschieben, dass er nur noch auf einem Punkt ist."
"Zumindest, wenn ich vergesse, dass das Gummi Platz einnimmt", haderte
Max und versuchte das gleiche auf dem Kaffetassen-Donut.
"Das funktioniert hier aber auch." Emmy nahm Max den Ring aus der
Hand und legte ihn so auf den Donut, dass er das Loch umschloss. "Jetzt
auch?"
"Nein, jetzt nicht, ich seh´s ein. Und wenn die beiden durch eine
Gummi-Bewegung ineinander überführbar wären, müsste das
auf beiden gehen?"
"Oder auf beiden nicht."
"Was das mit Algebra zu tun hat, verstehe ich immer noch nicht so ganz.
Aber hier liegt ja ein Informationsheftchen ALGEBRAISCHE TOPOLOGIE rum."
Max spielte noch eine Weile mit Gummibändern, Gummibrezeln und so einigem
anderen Gummizeug. Dann krochen Emmy und Max durch den Reißverschluss
zurück in die feste Steinwelt der Mathe-rockt!-Galerie.
ALGEBRAISCHE TOPOLOGIE
Wie die Algebra in die Topologie Einzug hält, soll hier am Beispiel der
Fundamentalgruppe des Donuts erklärt werden.
Ausgehend von einem festen Punkt des Donuts schauen wir uns alle geschlossenen
Wege an, die wir auf dem Donut laufen können. Geschlossen heißt hier,
dass wir in unserem Punkt loslaufen und auch wieder ankommen. Legen wir entlang
der Wege Gummiringe, so können manche durch Verformen ineinander überführt
werden. Diese Wege stecken in der gleichen Gummi-Klasse.
Die Gummi-Klassen bilden eine Gruppe, die Fundamentalgruppe. Die Gruppenoperation ist folgende: Aus den beiden Gummi-Klassen, die in die Operation gesteckt werden, nehmen wir jeweils einen beliebigen Weg, laufen dann die Wege nacheinander und bilden die Gummi-Klasse des entstehenden Weges. Die Null der Gruppe ist die Gummi-Klasse aller auf einen Punkt schrumpfbarer Wege. Haben wir eine Gummi-Klasse, dann bekommen wir die Gummi-Klasse, die mit der gegebenen zusammen Null ergibt folgendermaßen: Wir nehmen einen Weg aus der Gummi-Klasse, laufen ihn rückwärts und bilden dann die Gummi-Klasse.
Wenn zwei Räume in der Gummiwelt gleich sind, haben sie auch die gleiche
Fundamentalgruppe. In der Fundamentalgruppe des Donuts gibt es außer der
Null weitere Elemente. Denn es gibt Wege, die sich nicht auf einen Punkt schrumpfen
lassen.
Die Fundamentalgruppe eines Balles besteht dagegen nur aus der Null. Hier lassen sich nämlich alle Wege auf einen Punkt schrumpfen. Leider gibt es Räume, die zwar die gleiche Fundamentalgruppe haben, aber auch in der Gummiwelt nicht gleich sind. Zum Glück gibt es aber noch so einige andere Gruppen, die zur Unterscheidung von Räumen gut sind: Homotopiegruppen (die Fundamentalgruppe ist die erste Homotopiegruppe), Homologiegruppen und Kohomologiegruppen. Die sind aber schwerer zu erklären.