Während der Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603-1867) schottete sich Japan fast völlig ab. Land und Volk waren von 2000 Jahren Krieg gebeutelt. Die Kultur Japans konnte sich nicht entwickeln. Von der Isolation Japans versprach sich der Shogun Tokugawa Lemitsu eine kulturelle, auf Tradition beruhende Entwicklung von innen heraus.
Die Edo-Zeit war dann auch die Zeit mit der am längsten andauernden Friedensperiode eines Landes in der Neuzeit. Über 200 Jahre Frieden. Und genau in dieser Periode entwickelte sich die japanische Kultur, wie wir sie heute noch kennen. Darunter auch Wasan, die "ursprüngliche Mathematik" Japans.
Zum Wasan gehörten die Yuureki Sanka. Sie sorgten für breite Kenntnis von Mathematik. Während die Sangaku die Präsenz von Mathematik im Alltag sicherten, wurde die Forschung über das Prinzip des Idai vorangetrieben.
Die Menschen konnten auf chinesische Mathematikbücher zugreifen,
die nach Japan importiert wurden. Kenntnis von der westlichen Mathematik
- Yosan - erlangten die JapanerInnen erst (wieder) im 18. Jahrhundert. Dadurch konnte
eine eigene und selbstständige Mathematikkultur in Japan entstehen.
Wasan bezog sich auf das chinesischen Kanji-System, einem Mathematikverständnis,
das auf ostasiatischer und indischer Mathematikkultur fußte.
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Bis zur Edo-Zeit standen praktische Gesichtspunkte im Zentrum der japanischen
Mathematik. In der Edo-Zeit entwickelte sich das Kanji-System jedoch unabhängig
weiter - Wasan entstand.
Seki Takakazu etwa revolutionierte das Kanji-System, indem er zwei Methoden
formulierte, mit denen sich die berühmten 15
Idai des Sawaguchi
lösbar wurden.
Wir würden sagen: Klassische Themen des Wasan waren Analysis, Zahlentheorie,
Kombinatorik (Algebra) und Geometrie.
YUUREKI SANKA
Die Yuureki Sanka waren Lehrende, die zu Fuß durch alle Provinzen Japans
reisten. Sie lehrten alle Interessierten Mathematik. Einige von ihnen führten
auch Tagebücher über ihre Reisen. Wenn es sich ergab, hinterließen
sie auf Stationen ihrer Reise Sangaku.
SANGAKU
Auf hölzernen Tafeln, den Sangaku, notierten Mathematiker einzelne mathematische
Probleme und deren Lösungen. Überwiegend waren dies Lehrsätze
der euklidischen Geometrie - wie wir in Yosan-Sprache sagen würden. Später
wurden auch offene Probleme auf den Tafeln notiert und dadurch bekannt gemacht.
Die Tafeln wurden sehr sorgfältig gestaltet und koloriert. Man hängte
sie in Schreinen und Tempeln unter das Dach. Ihre Attraktivität war sehr
hoch, da sie zwar Lösungen, aber nicht die dazugehörigen Herleitungen
mitteilten. Generationen konnten sich dadurch immer wieder überlegen, wie
die AutorInnen auf die Ergebnisse gekommen waren.
Unter den Autoren finden sich nicht nur bekannte Mathematiker, auch die Landbevölkerung,
Frauen, Männer, Kinder fertigten Sangaku an. Mathematik entwickelte sich
für eine breite Bevölkerungsschicht zu einer Art Hobby - das fast
so beliebt war wie Ikebana, die japanische Blumensteckkunst und das japanische
Schach.
Die Sangaku waren eine kostengünstige und einfache Art und Weise, mathematische
Erkenntnisse einem großen Publikum bekannt zu machen. Schätzungsweise
existieren heute noch 900 dieser Tafeln über ganz Japan verstreut.
IDAI (ODER KONOMI)
1641 erscheint ein mathematisches Buch mit dem Titel Sanryoroku. Auf der Rückseite
des Buches befindet sich ein mathematisches Problem, das nicht in dem Buch behandelt
wird. Es war ein Problem, an dem der Mathematiker nicht weiterkam. Es dauerte
zehn Jahre bis das Problem gelöst war. Ein Mathematiker veröffentlichte
ein Buch, in dem er Lösung formulierte und auf die Rückseite des Buches
stellte er ein neues ungelöstes Problem. Dieses Prinzip setzte sich durch.
Die folgenden Mathematikbücher hatten herausfordernde Fragen auf den Rückseiten.
Dieses Vorgehen konnte das Voranschreiten der Forschung garantieren. Alle, die ein Mathematikbuch in die Hand nahmen,
fanden auf der Rückseite Fragen, an denen geknobelt werden konnte. Die meisten
dieser Bücher waren auf chinesisch geschrieben, was das Lesen heute
für japanische MathematikerInnen schwierig macht.
¹ Das chinesische Kanji-System grenzte sich absichtlich vom Konfuzianismus (chinesische Philosophie und politische Vorstellungen) ab.